Turnen –  Eine Brücke zwischen Ost und West

Nach der Teilung Deutschlands im Jahr 1949 glaubte keiner daran, dass es je wieder eine Verbindung zwischen Ost- und Westdeutschland geben könnte. Doch dann passierte es, die Menschen stürzten die Berliner Mauer, Deutschland wurde 1989 wiedervereinigt und die Welt schien wieder in Ordnung zu sein. Was die meisten aus der heutigen Zeit aber nicht wissen ist, dass dieses Ereignis für viele weitaus mehr bedeutete, als wir uns überhaupt vorstellen können. Einige Menschen verloren ihre Arbeit oder sogar ihr Zuhause. Die Wende brachte viele Neuerungen aber auch Verluste mit sich, welche jeden einzelnen auf eine andere Art beeinflussten.

Dr. Harry Schwarz ist einer dieser Menschen, die die Wende in ihren vollen Zügen miterlebten. Er stammt aus dem Jahrgang 1933 und ist gebürtiger Chemnitzer. Auf seinem Lebensweg absolviert er viele verschiedene Stationen und sammelt bei der Arbeit mit den unterschiedlichsten Personen viele Erfahrungen. Neben seiner gesamten beruflichen Ausbildung ist er über 60 Jahre im Ehrenamt bei verschiedenen Turnbereichen zugange. Harry Schwarz beginnt als Installateur und Bauklempner, in diesem Beruf ist er bis 1950 tätig, denn im selben Jahr wird die Deutsche Hochschule für Körperkultur (DHfK) in Leipzig gegründet.

„Meine Betriebssportgemeinschaft (BSG) Motor Diamant fragte, ob ich nicht Lust hätte, Sportlehrer zu werden. Ich nahm das Angebot an.“ Das ist der Beginn einer langen Berufsausbildung mit vielen Hoch- und Tiefpunkten. Schwarz macht sein Abitur nach und beginnt als Fernstudent der DHfK in Leipzig. Dabei macht er eine Qualifikation für Berufsschulen und steigt 1955, nach Beendigung seines Studiums, als Sportlehrer in der Betriebsberufsschule (BBS) des VEB Fettchemie in Karl-Marx- Stadt ein. Einige Jahre später wird Harry Schwarz gebeten, als Turnlektor an der DHfK- Außenstelle in Chemnitz anzufangen. Hier lehrt er die Fernstudenten zunächst auf Honorarbasis das Turnen und ist hauptberuflich an der damaligen Technischen Hochschule Karl-Marx-Stadt, heute TU Chemnitz, tätig. 1960 steigt er ganz bei der DHfK-Außenstelle ein und bildet bis zur Wende Trainer für den Leistungssport aus.

1990 ist die DHfK durch die Vereinigung und Abwicklung beider deutscher Staaten gezwungen, sich der damaligen Karl-Marx-Universität Leipzig anzuschließen und verlor so über 900 Mitglieder. „Das war dann die Zeit, wo ich aufhören musste und ich wurde für kurze Zeit arbeitslos“, erzählt Dr. Schwarz. Doch davon lässt er sich nicht unterkriegen und beginnt kurze Zeit später im Sportamt Chemnitz in der Abteilung Vereinswesen. Hier berät er unsere Sportvereine in deren Neustrukturierung.

„Da klingelte auch schon ein westdeutsches Telefon in der Hochschule des Sozialismus, das war dann schon möglich“, schildert Dr. Harry Schwarz die bereits vor der Wende fortgeschrittene Integration des westdeutschen Systems. Dennoch gab es einige Hindernisse zu überwinden bei der Verbindung von West- und Ostdeutschland. Zum Beispiel erinnert er sich an eine Situation „…mit unseren Leistungssportlern, die kamen in die Außenstelle und trugen westdeutsche Aufkleber auf ihren Jacken, da fragten manche, ob unsere Sportler verrückt seien, so was bei uns zu tragen.“ Oder: „Eine damalige Rennrodlerin, welche ich im individuellen Studienablauf betreute, sagte mir, dass sie es sich erlaubt habe vor dem letzten Rodelwettkampf in Innsbruck mit den Westdeutschen eine Schneeballschlacht zu machen, das hat man ihr anhängen wollen.“ Doch Harry Schwarz nimmt diese Vorwürfe ruhig entgegen und bezeichnet die Westdeutschen als Sportfreunde, mit denen sie jetzt zurechtkommen müssen.

Als seine Abteilung des Vereinswesens dann aufgelöst wurde, beginnt er beim Weltbildverlag, mit seinem Pilotenkoffer durch Büros und Kindergärten zu ziehen, um die Produkte des Verlags zu verkaufen. Währenddessen entwickelt er zusammen mit einem Freund die Idee, einen Sächsischen Turnverband zu gründen. Dieses Konzept setzten sie zusammen mit weiteren Sportfreunden um und am 9. Juni 1990 wird Dr. Harry Schwarz zum Präsidenten dieses Turnverbandes gewählt. Dieses Amt übt er von 1990 bis 2003 aus und entscheidet sich danach, diesen Posten niederzulegen. Seitdem fungiert er als Ehrenpräsident.

Die Wende hatte keine schwerwiegenden Auswirkungen auf das Privatleben von Harry Schwarz, aber er betont die Veränderungen im Sport. Er berichtet, dass vor allem Unterschiede in der Sportbekleidung zwischen Ost und West auffallen. Schwarz sagt auch: „Nach der Wende zählten auf einmal ganz viele verschiedene Sportarten unter den Begriff Turnen und als ich das das erste Mal gelesen habe, dass in Betttüchern tanzen und Peziball trommeln als Turnen zählt, da dachte ich, jetzt muss ich austreten. Also hier scheiden sich mitunter die Meinungen.“ Trotzdem meint Harry Schwarz, dass das Turnen eine Art Brücke zwischen Osten und Westen war, trotz großer Leistungsunterschiede. Auch heute sieht er den Turnsport als große Bereicherung für die Gesellschaft, denn hier kommen verschiedene Sportler aus der ganzen Welt zusammen, um sich gemeinsam Medaillen zu erturnen und eine Gemeinschaft zu bilden, die auf ihre ganz eigene Art sehr besonders ist.

Abschließend ging Dr. Schwarz auch noch auf seine Wünsche an die heutige Gesellschaft ein. Er teilt mit: „Ich würde mir wünschen, dass viele Menschen sich ein bewegtes Leben erarbeiten, das muss nicht unbedingt am Barren hängen sein. Ebenso wünsche ich mir, dass der Sport besser anerkannt wird. Die Menschen sollten sich gegenseitig mehr achten und respektieren, soll heißen, dass ich nicht einfach ein Menschenleben mit einem Messer beende, nur weil ich mich mit jemandem gestritten habe. Auch, dass die Politik näher an die Bevölkerung rückt, wäre mein Wunsch. […] Wir können nicht die ganze Welt retten. Natürlich ist es nicht richtig, was mit vielen Menschen in fremden Ländern passiert, aber wir sollten unsere Nöte dabei nicht vergessen.“


Die Deutsche Hochschule für Körperkultur Leipzig:

Die Deutsche Hochschule für Körperkultur (DHfK) war eine deutsche Sportschule mit Sitz in Leipzig. Sie wurde 1950 gegründet und nach der Wende zum 1. Januar 1991 aufgelöst. Im Laufe ihres Bestehens bildete die DHfK Diplomsportlehrer aus, förderte Trainer und Sportfunktionäre systematisch, betrieb Nachwuchsforschung und forschte an der Weiterentwicklung der Disziplinen, was in der damaligen Sportwissenschaft als Neuerungen angesehen wurde.

Quelle: https://de.wikipedia.org

Dieses Gespräch führte Muriel Ihle, Kurs 11/1 Georgius-Agricola-Gymnasium