„Das war einfach so, wir mussten damit fertig werden.”

Die Wendezeit im Kindergarten

Spielen, Malen, Basteln und Rätsel lösen gehörten genauso zum Alltag eines Kindergartens in der DDR wie die Erziehung der Kinder zu „sozialistischen Persönlichkeiten“. Im Gegensatz zur BRD, in der sich das antiautoritäre Erziehungskonzept großer Beliebtheit erfreute, wurden im Osten Deutschlands klare und geregelte Tagesabläufe und das „angeleitete Spiel“ bevorzugt. Man kann behaupten, dass die Kinder also nicht nur auf das Leben in einer sozialistischen Gesellschaft vorbereitet, sondern regelrecht indoktriniert wurden. Eva Ahnert, langjährige Kindergärtnerin in der DDR, erzählt im Interview von ihren Eindrücken und Erfahrungen aus der Wendezeit, welche Auswirkungen diese auf ihre Nächsten sowie auf ihre Arbeit im Kindergarten hatten und deckt Vorurteile gegenüber der Erziehung in der damaligen Zeit auf.

Eva Ahnert sitzt in ihrem gemütlich eingerichteten Wohnzimmer. Die Wände und Schränke sind mit Bildern ihrer Familie und Büchern bestückt, im Hintergrund ist das Gezwitscher ihrer Wellensittiche zu hören. In der Hand hält sie eine Tasse Kaffee und auf dem Tisch vor ihr steht Kuchen. Sie wirkt entspannt, aufgeschlossen und bereit, Geschichten aus ihrer Vergangenheit zu teilen.

Geboren wurde Eva Ahnert im Jahr 1952 in Chemnitz. Sie wuchs zusammen mit ihrem Bruder im Chemnitzer Stadtteil Altendorf auf und beschreibt eine glückliche Kindheit sowie ein sehr gutes Verhältnis zu ihren Eltern. Sie besuchte selbst nie den Kindergarten und wurde mit sieben Jahren eingeschult. Auch hier berichtet sie von einer schönen Zeit und einem ausgezeichneten Verhältnis zu den Lehrern, welches sie rückblickend, aufgrund ihrer „schwatzhaften Art“, jedoch verwundert. Während ihrer Schulzeit kristallisierte sich zunächst der Wunsch heraus, Landschaftsgestalterin zu werden. Bald änderte sich das aber und sie begann nach der zehnten Klasse eine Ausbildung zur Kindergärtnerin. Die zwei Jahre, die sie dafür benötigte, empfand sie als recht anstrengend und „straff“, trotzdem bezeichnet sie den Beruf der Kindergärtnerin bis heute als ihren „Traumberuf“. Unmittelbar nach ihrem Abschluss im Jahr 1971 fand sie eine Stelle im Betriebskindergarten des Industriewerks, in welchem sie vorher bereits mehrere Praktika absolvierte. Hier übernahm sie dann die Gruppe ihrer Mentorin, worüber Kinder und Eltern, die sie bereits kannten, sehr froh waren.

Bei der Schilderung ihres Lebens fasst sich Eva Ahnert kurz und sachlich, wirkt abgeklärt und fast distanziert. Sie berichtet, dass sie ein halbes Jahr in Bulgarien zusammen mit ihrem von dort stammendem Mann lebte. Nach dieser Zeit kehrten sie gemeinsam nach Karl-Marx-Stadt zurück und bekamen im Jahr 1974 ihre erste Tochter. Zwei Jahre später kam eine zweite Tochter auf die Welt. Doch dieses perfekte Familienglück wurde bald durch einen tödlichen Unfall ihres Mannes zerstört und Eva Ahnert musste nun als alleinerziehende Mutter über die Runden kommen. „Natürlich hatte ich dann ein ziemliches Tagespensum, also mein Tag war schon ziemlich vollgepackt, naja es war schon hart.“, mit diesen Worten beschreibt sie diese Zeit und zeigt sich glücklich über das Verständnis ihrer damaligen Vorgesetzten.

Doch es blieb nicht bei diesem Schicksalsschlag. Kurze Zeit später erkrankte ihre jüngste Tochter schwer und Eva Ahnert musste für ein Jahr von der Arbeit aussetzen. „Sie ist leider nicht wieder gesund geworden und dann hab ich zu der Ärztin gesagt: ich weiß nicht, ob ich noch in dem Beruf arbeiten kann, wenn ich die Kinder alle so sehe.“ Bei diesen Worten wird deutlich, wie schwer es ihr gefallen ist, den Beruf erneut aufzunehmen und doch „rappelte” sie sich wieder auf und entschied sich, weiter ihrem Traumberuf nachzugehen. Sie wechselte nun in einen Kindergarten, in dem sie, wie sie sich erinnert, ein Kind, das ihrer verstorbenen Tochter sehr ähnlich sah, betreute und berichtet von den anfänglichen Problemen damit. „Aber ich hab mich reingefitzt und wir haben uns alle super verstanden, muss ich sagen, wir waren ein super Kollektiv“.

Bis 1983 arbeitete sie in dieser Kindertagesstätte auf dem Kaßberg und fand später eine Stelle im Betriebskindergarten des Rates des Bezirkes. Hier fungierte sie als stellvertretende Leiterin. Eva Ahnert betont an dieser Stelle, dass sie selbst nie in „der Partei“ (SED) war – im Gegensatz zu vielen, die damals in leitenden Positionen tätig waren. „Ich weiß auch so, wo ich hingehöre. Also ich muss sagen, das haben sie auch verstanden, mich hat da keiner bedrängt, so wie das manche erzählen.“ Auf die Frage, ob sie von Kolleginnen im Kollektiv wusste, die in der Stasi tätig waren, antwortet sie, dass sie nur von Ehemännern in der Staatssicherheit erfahren hatte, dadurch aber keine negativen Auswirkungen am Arbeitsplatz zu spüren bekam. „Wir haben darüber auch nicht gesprochen“, erklärt sie.

Eva Ahnert erzählt auch mit Freude von der Arbeit mit den Kindern in der DDR. Eine Gruppe bestand damals aus 20 Kindern ab zwei Jahren und acht Monaten. Zu beliebten Beschäftigungsbereichen zählten damals wie heute Sport, Musik, Kunst sowie die Mengenlehre. Auch das Spielen im Freien, selbst gekochtes Mittagessen und die Mittagsruhe waren ein Teil des Alltages.

Besonders wichtig ist es ihr zu erwähnen, dass es damals sehr viel erschwinglicher war, sein Kind in den Kindergarten zu schicken. „Was die Eltern bezahlt haben im Gegensatz zu heute, das kann man nicht vergleichen. Wir haben kaum was bezahlt, vielleicht 20 Ostmark im Monat.“

Sie äußert sich ebenfalls zu den Methoden und oft beschworenen strengen Vorschriften zur Erziehung der Kinder: „Jeder hat das so gemacht, wie er es für richtig hielt. Ich hab nie Probleme gehabt oder dass es geheißen hat, 'das kannst du nicht so machen, du musst das so und so machen’. Das gab’s bei uns nicht, es ist manches hochgespielt worden, jetzt zu Westzeiten.“

Mit der Wende kamen für Eva Ahnert, wie für die meisten, viele Probleme. Zunächst konnte sie zwar im Betriebskindergarten des Rates des Bezirkes bleiben, musste dann diesen aber doch durch ein neu eingeführtes Punktesystem gemeinsam mit vielen anderen verlassen. Nach diesem Punktesystem wurden Punkte für Arbeitsjahre vergeben und nur ab einer gewissen Anzahl konnte weitergearbeitet werden. Eva Ahnert äußert sich deutlich dazu, wie diese „plötzliche Entlassung“ sich auf sie auswirkte: „Ganz schlecht ging es mir da, die haben mir ja die Jahre, die ich auf meine Tochter aufgepasst habe, abgezogen.“ Glücklicherweise fand sie während einer Weiterbildung zur staatlich anerkannten Erzieherin eine neue Stelle in einem Kindergarten in Schloßchemnitz. Diese Weiterbildung mussten alle DDR-Kindergärtnerinnen belegen, da ihre Ausbildung rechtlich nicht mehr gültig war. „Unser Beruf war praktisch nicht mehr anerkannt, dabei hatten wir eine super Ausbildung, muss ich sagen.“ Sie berichtet, dass sich trotz der geänderten Arbeitsbedingungen im Kindergarten ihre Aufgaben mit den Kindern über die Wendezeit kaum verändert haben.

Nach zwei Jahren Arbeit und Ausbildung wurde Eva Ahnert aufgrund von Stellenabbau erneut eine Kündigung überreicht. Sie bekam eine halbjährige Kündigungsfrist, arbeitete diese allerdings durch und erzählt über ihr Kollektiv: „Ich hatte Kolleginnen, die gesagt haben: 'Na, da mach’ ich krank, wenn ich ’ne Kündigung habe', aber das kam für mich nicht infrage“. Die Kündigung kam für die ehemalige Kindergärtnerin überraschend und schockierte sie sehr, da sie von 1971 bis 1996 nichts anderes als die Arbeit im Kindergarten kannte. Auch die Eltern der Kinder, die Eva Ahnert betreut hatte, schienen sehr geschockt von ihrer Kündigung zu sein. „Die sind Sturm gelaufen, die wollten mich eben auch nicht hergeben.“ Ihr zweiter Ehemann, den sie acht Jahre zuvor geheiratet hatte, war zu diesem Zeitpunkt ebenfalls arbeitslos, da sein Betrieb nach der Wende geschlossen wurde. Allerdings wiesen die beiden damals niemandem die Schuld für ihr Unglück zu. „Das war einfach so, wir mussten damit fertig werden. Das hat uns trotzdem, naja, was soll ich sagen, niedergeschlagen“, erklärt sie bedrückt. Diese Krise überstand Familie Ahnert jedoch gut, da Eva Ahnerts Mann „zum Glück wieder Arbeit gefunden“ hatte, bevor ihre eigene Kündigungsfrist auslief.

Bemerkbar macht sich die Wende auch beim Berufseinstieg ihrer Tochter, die mit 17 Jahren keine Lehrstelle für ihren Wunschberuf Kinderkrankenschwester finden konnte. Stattdessen nahm sie in der Nähe von Köln 1991 eine Lehrstelle in der Küchenabteilung eines Hotels an. Wütend beschreibt Eva Ahnert, wie ihre Tochter in ihrer Ausbildung, entgegen dem Jugendschutzgesetz auch nach der Schule noch arbeiten musste. „Dort ist die nur ausgenutzt worden“, erklärt sie aufgebracht. Auf den Rat eines Bekannten hin sorgte sie nur ein halbes Jahr nach dem Beginn der Ausbildung ihrer Tochter dafür, dass deren Ausbilderin aufgrund der Verstöße gegen jegliche Auflagen des Jugendschutzgesetzes eine entsprechende Strafe bekam. Über die folgende Kündigung ihrer Tochter zeigt sie sich jedoch auch im Nachhinein glücklich und schildert, wie diese, zurück in Chemnitz, eine Lehrstelle zur Krankenschwester im Bethanien-Krankenhaus annahm.

Auf das persönliche Leben von Eva Ahnert hatte die Wende jedoch keine großen Auswirkungen, wie sie erzählt. Man habe immer gehofft „Arbeit zu haben“ und „dass alle gesund sind. Es wurde viel über die Wende gesprochen. Wir hatten Nachbarn, mit denen haben wir uns viel darüber gestritten. Aber Angst hatten wir nicht. Nur Sorge.“

Besonders betont sie, 1989 nie auf Demonstrationen gegen die staatliche Bevormundung gewesen zu sein. Diese sogenannten Montagsdemos wurden von der Bevölkerung organisiert und forderten Reisefreiheit und mehr Mitbestimmung. „Weil ich es nicht verstanden hab, wie sie alle geschrien haben 'wir wollen reisen'. Zum Reisen brauchte man auch Geld und viele hatten keins“, erklärt sie.

Nach der Wende und der endgültigen Entlassung aus dem Kindergarten in Schloßchemnitz konnte Eva Ahnert durch eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM) Arbeit in einem Aussiedlerheim finden. Die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen waren in Deutschland zu Zeiten hoher Arbeitslosigkeit von der Arbeitsagentur unterstützte Tätigkeiten auf dem Arbeitsmarkt, um Arbeitssuchenden bei der Wiedereingliederung in eine Beschäftigung zu helfen oder ein geringes Einkommen zu sichern. In einem Brief der Arbeitsagentur wurden Arbeitslose dann zu einem Vorstellungsgespräch bei einer ausgewählten Stelle aufgefordert. Diese wurden voll bezahlt, waren meist aber auf ein bis zwei Jahre Arbeitszeit begrenzt. „Die Arbeit dort im Aussiedlerheim, das hat mir auch sehr großen Spaß gemacht“, berichtet sie. In den Jahren nach dem Ablaufen der ABM im Aussiedlerheim suchte Eva Ahnert sich Beschäftigung als Saalwächterin im Naturkundemuseum und den Kunstsammlungen in Chemnitz und fand 2004 zusätzlich noch eine Stelle als „geringfügig Beschäftigte“ in einer Arztpraxis, in welcher sie bis heute ab und zu putzt. „Es war nicht so, als dass ich Zuhause gesessen habe, das wäre gar nicht für mich gegangen.”

Über ihr heutiges Leben ist Eva Ahnert geteilter Meinung. Sie beschreibt, wie schwer es ihr fällt, im Betreuten Wohnen der AWO Anschluss zu finden. „Was nach der Wende auf der Strecke blieb, ist quasi das ganze Zwischenmenschliche.“ In ihrem früheren Wohnhaus hatte sie sich sehr gut mit ihren Nachbarn verstanden. Sie erklärt, zusammen haben alle „eine super Hausgemeinschaft“ gebildet, die öfter Hausfeste gefeiert hätte, was allen das Leben schöner gemacht habe. „Das muss ich sagen, das fehlt jetzt ein bisschen. Hier hat keiner für den anderen mal ein Ohr und hört mal zu, geschweige denn, reicht mal eine helfende Hand.“ Trotz der „eingeschworenen Gemeinschaft“ im Betreuten Wohnen, zu der sie keinen Zugang findet, und auch ohne ihren 2024 verstorbenen Mann fühlt Eva Ahnert sich mit ihren zwei Wellensittichen in ihrem Zuhause sehr wohl. Sie sagt: „Ich will hier wohnen bleiben, weil die Wohnung schön ist und die Lage ist auch gut.“

Über die aktuellen Zustände in Kindergärten teilt sie Kritik mit: „Ich kenne welche, die sagen, es macht keinen Spaß mehr, im Kindergarten zu arbeiten.“ Diese Meinung teilt Eva Ahnert und begründet dies mit den veränderten Aufgaben, die Kindergärtnerinnen in den letzten Jahren erfüllen müssen, wie beispielsweise das „zu detaillierte“ Führen von Akten über die Kinder. „Jetzt müssen die eben so viel Dokumentation machen, dass die Arbeit mit den Kindern auf der Strecke bleibt.“ Auch über das veränderte Verhalten der Eltern im Kontrast zu früher äußert die ehemalige Kindergärtnerin ihre Bedenken. Dass man die Kinder aktuell mit „Samthandschuhen“ behandeln müsse, „weil sonst die Eltern gleich mit dem Anwalt drohen. Und das macht sich dann auch in der Schule bemerkbar. Das im Kindergarten, wie es früher mal war, ist es nicht mehr. Ich hätte mir gewünscht, dass es so bleibt.“

Auch erzählt sie glücklich über ehemalige Kolleginnen, die über die Jahre zu guten Freundinnen geworden sind: „Wir treffen uns jetzt noch einmal im Jahr, die Kollegen von dem Kindergarten auf der Parkstraße, immer am 12. Juni, da war Lehrertag früher und da lassen wir alte Zeiten aufleben, das ist schön.“ Obwohl sie erklärt, dass ihr Freundes- und Familienkreis schon immer recht klein war, ist sie froh, mit ihren Freundinnen so regelmäßigen Kontakt haben zu können.

„Für mich persönlich und meine Familie wünsche ich mir Gesundheit, das ist das Wichtigste.“ In ihrem Leben musste Eva Ahnert viel ertragen. Mit zittriger Stimme erklärt sie, dass ihr sowohl der noch frische Verlust ihres zweiten Mannes, als auch der längst vergangene Verlust ihrer jüngeren Tochter immer schmerzlich in Erinnerung bleiben werden. Über die beiden sagt sie, den Tränen nahe: „Meinen Mann, den vermiss’ ich schon ganz sehr. Aber meine Tochter auch, obwohl es schon so lange her ist, sie wird immer fehlen.“

Auf die abschließende Frage, ob sie sich etwas für die Zukunft von Chemnitz wünschen würde, erwidert sie nur: „Chemnitz, das ist so ein Thema. Es könnte mal sauberer werden. Außerdem wäre es schön, dass Chemnitz mehr nach Außen gehört wird, das würde ich mir wünschen.“ Ansonsten erklärt sie, dass Chemnitz als ihre Heimatstadt immer der besondere Ort bleiben wird, in dem sie aufgewachsen ist.

Das Gespräch führten Yvonne Sambale und Tammy Herischek, Klasse 10/2, Georgius-Agricola-Gymnasium